Eine Technologie erlebt ihre Renaissance: Carbon Capture and Storage (CCS) – das Abscheiden und unterirdische Speichern von CO2 – galt in Deutschland lange als tot. Nun will die Bundesregierung diese Technologie wieder zum Leben erwecken. Doch die entscheidende Frage bleibt: Ist CCS der erhoffte Heilsbringer im Kampf gegen die Klimakrise oder nur eine teure Illusion? [Edit am 24.02.25: Spoiler Alert, ist es natürlich! Nachdem ich heute morgen diesen Podcast von Spektrum der Wissenschaft gehört habe, weiß ich, dass die Öl-Industrie ein neues Level im „Greenwashing-Game“ freigeschaltet hat: Staatliche Subventionen abgreifen, Co2-Zertifikate verkaufen und mit dem „gecaptureten“ Co2 noch mehr Öl aus dem Boden pressen.]
Vom Problemkind zum Hoffnungsträger?
Deutschland muss bis 2045 klimaneutral werden. Mit einem Anteil von etwa 20 Prozent ist die Bundesrepublik der mit Abstand größte CO2-Emittent in der EU.
„Wenn Deutschland bei seinen Klimazielen scheitert, scheitert auch die EU“, warnen Experten.
In dieser Situation erscheint CCS für viele als rettender Strohhalm. Die Idee: CO2 wird direkt am Schornstein abgefangen, bevor es in die Atmosphäre gelangt. Anschließend wird es verflüssigt und unter der Erde eingelagert – zum Beispiel in ehemaligen Erdgasfeldern unter der Nordsee.
Die technischen Details: Drei Wege zum gleichen Ziel
Aktuell gibt es drei Hauptvarianten der CO2-Abscheidung:
1. Post-Combustion: Das CO2 wird nach der Verbrennung aus den Abgasen herausgefiltert. Diese Methode lässt sich auch bei bestehenden Anlagen nachrüsten.
2. Pre-Combustion: Hier erfolgt die Abscheidung bereits vor der Verbrennung. Diese Variante wird vor allem in industriellen Prozessen eingesetzt.
3. Oxyfuel: Bei dieser Methode wird mit reinem Sauerstoff verbrannt. Das vereinfacht die spätere CO2-Abscheidung erheblich.
[Quelle]
Die große Kehrtwende der Politik
Noch 2012 hatte Deutschland die CO2-Speicherung per Gesetz weitgehend verboten (Kohlendioxid-Speicherungsgesetz [KSpG]). Nun plant die Bundesregierung eine Kehrtwende: Ein neues CO2-Speicherungsgesetz soll den Bau eines flächendeckenden CO2-Transportnetzes ermöglichen und CO2-Deponien unter der Nordsee erlauben.
Diese Entwicklung wird von der EU unterstützt. Das neue „Netto-Null-Industrie-Gesetz“ sieht vor, dass bis 2030 eine Injektionskapazität von 50 Millionen Tonnen CO2 in der EU geschaffen werden soll.
Die ernüchternde Realität
Doch die bisherigen Erfahrungen mit CCS sind ernüchternd. Eine Untersuchung des Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) aus dem Jahr 2022 zeichnet ein tristes Bild: Von 13 untersuchten CCS-Anlagen, die zusammen die Hälfte der weltweiten Speicherkapazität ausmachten, scheiterten zehn komplett oder verfehlten ihre Ziele deutlich.
Der energetische Offenbarungseid
Ein fundamentales Problem von CCS ist der enorme Energiebedarf. Beispiel Müllverbrennungsanlage: Mit CCS könnte sie nur noch die Hälfte des bisher erzeugten Stroms liefern. Der Rest würde für Abscheidung, Transport und Speicherung des CO2 draufgehen.
Stanford-Forscher Mark Jacobson kommt daher zu einem vernichtenden Urteil:
„Tatsächlich erhöhen Sie die CO2-Emissionen durch dieses Verfahren.“
Selbst wenn CCS mit Windenergie betrieben würde, wäre es ineffizient: „Wenn man den Wind direkt zur Ersetzung von Kohle nutzen würde, würde man eine höhere CO2-Reduktion erreichen.“
Warnende Stimmen aus der Wissenschaft
Diese Analyse vvon Mark Jacobson wird von der wissenschaftliche Gemeinschaft geteilt, die CCS zunehmend kritisch sieht. Das UN-Klimapanel bezeichnet die Technologie als „technologisch und wirtschaftlich unbewiesen“ Der frühere US-Vizepräsident und Klimaexperte Al Gore warnt: „Täuschen wir uns nicht vor, dass dies innerhalb des Zeitrahmens verfügbar wird, den wir zur Emissionsreduzierung brauchen.“
Die Kostenfalle
Auch die ökonomische Realität von CCS ist ernüchternd. Derzeit kostet die Abscheidung und Speicherung einer Tonne CO2 bis zu 1.000 Dollar. Zum Vergleich: Der aktuelle CO2-Preis im europäischen Emissionshandel liegt bei etwa 30-70 Dollar pro Tonne.
Ein besonders anschauliches Beispiel liefert Norwegen: Der staatliche Energiekonzern Equinor kalkulierte Kosten von 570 Euro pro Tonne für eine CCS-Anlage an einem Gaskraftwerk – und entschied sich dann doch lieber für die Nutzung von Ökostrom.
Der gefährliche Trugschluss
Besonders problematisch: CCS könnte zu einem gefährlichen Aufschub dringend notwendiger Klimaschutzmaßnahmen führen. Die bloße Aussicht auf eine technische Lösung in der Zukunft wird von der fossilen Industrie bereits genutzt, um weiterzumachen wie bisher. Denn für die fossile Industrie ist die Förderung von CCS ein vierfacher Gewinn:
- Sie stellt die Technik zur Verfügung und besitzt potenzielle Speicherorte
- Der Ausstieg aus Öl und Gas wird in die Zukunft verschoben
- Der hohe Energiebedarf von CCS schafft zusätzliche Nachfrage
- Sie kassiert staatliche Förderungen in Milliardenhöhe
„Statt CCS einzusetzen, wäre es einfacher und billiger, durch einen konsequenten Ausstieg aus fossilen Energien Schäden zu verhindern“, argumentieren Kritiker.
Dazu Stanford-Professor Mark Jacobson: „Wenn man die gleiche Energie und das gleiche Geld in erneuerbare Energien investieren würde, um fossile Energieträger zu ersetzen, würde man nicht nur mehr CO2 einsparen, sondern auch die gesamte Luftverschmutzung eliminieren.“
CCS – trotz Milliarden bis jetzt eher eine Misserfolgsgeschichte
International zeigt sich ein gemischtes Bild. In den USA hat die Biden-Administration 3,5 Milliarden Dollar für CCS-Demonstrationsprojekte bereitgestellt. Gleichzeitig haben große Konzerne wie Microsoft, Google und British Airways zusammen 1,6 Milliarden Dollar für CO2-Entfernungszertifikate zugesagt. (hier, hier und hier)
Doch die praktischen Ergebnisse sind bescheiden: Von allen gekauften CO2-Entfernungszertifikaten wurden bisher nur 4 Prozent tatsächlich umgesetzt. Die wenigen existierenden Anlagen fangen nur einen Bruchteil der täglichen globalen CO2-Emissionen ab. Das schreckt Investoren jedoch nicht ab.
Der neue Goldrausch der Tech-Industrie
Die größten Namen der Technologiewelt wittern im Bereich der CO2-Entfernung das nächste große Geschäft. Bill Gates, Jeff Bezos und andere Tech-Milliardäre haben sich bereits in London getroffen, um ihre Investitionen in diesem Sektor zu koordinieren.
Die Prognosen sind atemberaubend:
- 2019: Weniger als 1 Million Dollar Marktvolumen (Quelle)
- 2024: 1,6 Milliarden Dollar (Quelle)
- 2025 (erwartet): 10 Milliarden Dollar (Quelle)
- 2050 (Prognose): Möglicherweise 4 Billionen Dollar (Quelle)
„Es ist die größte Chance, die ich in 20 Jahren Risikokapitalgeschäft gesehen habe“, schwärmt Damien Steel, CEO des kanadischen Unternehmens Deep Sky.
Doch Kritiker warnen: Die technologischen Hürden sind enorm, und die Zeit drängt. Umso befremdlicher, dass Deutschland nun wieder verstärkt auf CCS-Technologien setzt.
Deutsche Klimaziele: Ein Wettlauf gegen die Zeit
Deutschland ist mit einem Anteil von etwa 20 Prozent der mit Abstand größte CO2-Emittent in der EU. Um die gesetzlich festgeschriebene Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen, müssen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 Prozent und bis 2040 um mindestens 88 Prozent gegenüber 1990 sinken. Zum Vergleich: Derzeit stoßen wir jährlich etwa 40 Milliarden Tonnen CO2 aus, während nur etwa 2 Milliarden Tonnen aus der Atmosphäre entfernt werden. Die wenigen existierenden CCS-Anlagen fangen nur einen Bruchteil der täglichen Emissionen ab.
CCS – eine Gefahr für’s Klima
Die Geschichte von CCS ist auch eine Geschichte von Unfällen und unerwarteten Problemen. Selbst in Norwegen, wo die bestüberwachten CCS-Anlagen der Welt stehen, kam es zu gefährlichen Zwischenfällen:
- Im Sleipner-Projekt entwich CO2 in eine unbekannte Gesteinsformation
- Der Snøhvit-Speicher erwies sich als deutlich kleiner als geplant
- Trotz strenger Auflagen und intensiver geologischer Überwachung traten unvorhergesehene Probleme auf.
Diese Vorfälle zeigen: Die dauerhafte und sichere Speicherung von CO2 ist alles andere als garantiert.
Deutschland 2025: Parteipositionen zu CCS
Vor allem CDU und FDP fallen wie üblich in der Klimapolitik auch in punkto CCS durch dreiste Dumpfbackigkeit auf:
- CDU/CSU: Befürwortet CCS auch für den Energiebereich und will die Technologie „rechtlich ermöglichen“. Jens Spahn fordert explizit den Einsatz bei Kohlekraftwerken
- FDP: Will CCS „diskriminierungsfrei als Klimaschutz-Option ermöglichen“ – also auch über die schwer zu dekarbonisierenden Sektoren hinaus.
- Die Grünen würden bei einer schwarz-grünen Koalition den Einsatz bei Kohlekraftwerken wahrscheinlich ablehnen, da dies dem Kohleausstieg.
- Die SPD plädiert in ihrem Programm für „CO2-Vermeidung vor Abscheidung“.
Interessant ist: Die Carbon-Management-Strategie der zerbrochenen Ampel-Regierung, die CCS bei Gaskraftwerken vorsieht, wird von Teilen der SPD und der Grünen nicht mehr unterstützt, obwohl Wirtschaftsminister Robert Habeck den Liberalen bei diesem Thema entgegengekommen war. Experten warnen jedoch vor übereilten politischen Entscheidungen.
Der Vorstandsvorsitzende der Leag, Torsten Kramer, lehnt die Technik bei Kohlekraftwerken ab: „Die Volumen, die bei uns an CO2 ausgestoßen werden, könnte man nur über ein exklusives Pipeline-Netz abtransportieren. Das sind Kosten, Investitionsgrößen, die kann man gar nicht mehr beherrschen.“
Fazit: Eine riskante Wette auf eine Wundertechnologie
Die Renaissance von CCS in Deutschland erscheint wie eine verzweifelte Wette auf eine unausgereifte Technologie. Statt massiver Investitionen in eine unsichere technische Lösung wäre ein konsequenter Umbau zu erneuerbaren Energien der sicherere Weg.
Die Geschichte der CCS-Technologie erinnert an das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: Alle tun so, als sähen sie eine funktionierende Lösung – dabei ist der Kaiser nackt. Die Lösung liegt nicht in der unterirdischen Speicherung von CO2, sondern in der drastischen Reduzierung seiner Entstehung.
